Gerade bei der Betreuung von speziellen Nischenthemen sollte man eine besondere Vorsicht bei der Recherche walten lassen. Schon ein einziges Wort kann eine ungewünschte Folge haben. Schon eine einzige, abweichende Betonung kann dazu führen, dass man verwundert oder irritiert angeschaut wird, schlimmstenfalls sogar wütend.
Im Umgang mit den Themen Hochbegabung oder auch Behinderung (so unterschiedlich sie auch sind) habe ich die Erkenntnis gewonnen, dass man sie in gleichem Maße nicht als anders bezeichnen sollte. Menschen mit Behinderung sind ebenso wenig anders wie Hochbegabte anders sind, denn es sind alles Menschen. Auch die Bezeichnung als ’normal‘ kann in diesem Zusammenhang kritisch gesehen werden, denn was ist schon normal? Bin ich normal? Sind Sie normal?
Von Grenzen und vom Ausgrenzen von Mitmenschen
Das Wort ’normal‘ birgt in zweierlei Auswirkungen ein Risiko. Zum einen ist dies ein von Menschen selbst geschaffenes Wort, das aber gar nicht näher definiert wird, wo sich jeder etwas anderes darunter vorstellen kann. Zum anderen unterstützt die fehlende Definition aber auch die Ausgrenzung von Menschen. Ist normal nur der Mensch, der der Norm entspricht? Welcher Norm denn überhaupt? Eine DIN-Norm mit der Bezeichnung ‚Mensch‘ gibt es nicht, einen Vordruck mit dieser Bezeichnung ebenfalls nicht. Aber wer oder was ist Mensch? Der Mensch, die Mensch, das Mensch, mir egal Mensch.
Bei jedem Thema, das man betrachtet, bringt man als Betrachter natürlich eine gewisse Position von Normalität hinein, es ist aber vielmehr eine subjektive Wahrnehmung dessen, was wir als normal empfinden.
Dieses „mir egal Mensch“ sollte eigentlich die Normalität sein. In dem Moment, wo wir nichts von unseren Mit-Menschen erwarten, werden sie uns überraschen. Stellen wir aber Erwartungen an sie, so ergeben sich nicht nur fehlerhafte Darstellungen, sondern auch eine Art Ausgrenzung. Erwartungen können auch nicht erfüllt werden und entwickeln sich dann zu Enttäuschungen. Hören wir einmal auf, Erwartungen zu stellen. Wir werden überrascht sein, wie häufig wir überrascht werden und wie sich unser Begriff von Normalität zu einer echten Normalität wandelt. Einer Normalität, die keinerlei Norm folgt und doch alles erwartbar macht.
Von der Auswahl unserer Worte
„Achte auf Deine Gedanken, denn sie werden Worte.
Achte auf Deine Worte, denn sie werden Handlungen.
Achte auf Deine Handlungen, denn sie werden Gewohnheiten.
Achte auf Deine Gewohnheiten, denn sie werden Dein Charakter.
Achte auf Deinen Charakter, denn er wird Dein Schicksal.“ (Talmud)
Der Talmud hat einen bemerkenswerten Ansatz gefunden, wie man mit Gedanken, die zu Worten werden, seine Handlungen beeinflussen kann. Handlungen, die zu Gewohnheiten werden, die wiederum unseren Charakter beeinflussen können – im Positiven wie auch Negativen. Der Charakter schließlich beeinflusst unser ganzes Leben. Wir selbst haben es also in der Hand, was wir aus unserem Leben und unserem Charakter machen. Bestenfalls das Beste.
Betrachten wir also einmal die Bedeutung und die Sinnhaftigkeit unserer Wörter. Bedeuten sie wirklich für jeden das gleiche? Bedeutet ’normal‘ für Sie das gleiche wie für mich? ‚Anders‘? ‚Lebendig‘? ‚Tot‘? ‚Schwarz‘? ‚Weiß‘? Wie genau ist die Bedeutung des Wortes oder der Sache in der jeweiligen Vorstellung? Sprechen wir, wenn wir reden, über das Gleiche? Und meinen dann wirklich das Selbe?
Die Bedeutung einzelner Wörter und Vorstellungen des Gesagten
Kennen Sie die Geschichte „Ein Tisch ist ein Tisch“ von Peter Bichsel? Wir alle haben eine unterschiedliche Vorstellung davon, was ein Tisch ist. Meinen wir einen Café-Tisch, einen Schreibtisch oder einen Küchentisch? Ist unser Tisch faltbar, hat er vier Beine oder doch nur zwei? Spielt man auf ihm Skat, Tennis oder Monopoly? Ist er für eine Person oder für mehrere? Die Beantwortung all dieser Fragen trägt zu unserer Vorstellung über einen Tisch bei. Erfahrungsgemäß stellen wir uns zwar alle einen ähnlichen Tisch vor, allerdings ist die Vorstellung dessen, was wir unter einem Tisch verstehen, von unseren Erfahrungen geprägt.
Und so verhält es sich nicht nur mit Tischen. Im Umgang mit Nischenthemen heißt die Bedeutung des Tisches konkret, dass Menschen generell eine andere Vorstellung von etwas haben können als man selbst. Hat der Mensch mit einer kognitiven Beeinträchtigung tatsächlich verstanden, was ich aussagen wollte oder hat er eine ganz andere Vorstellung von dem, was ich gerade gesagt habe? Verstehe ich meinerseits den Hochbegabten richtig mit dem, was er auszudrücken versuchte? Versteht der Hochbegabte mich und meine Aussage korrekt oder interpretiert er meine Frage ganz anders?
Kommunikation kann auf mehr als einer Ebene schiefgehen. So wissen wir, dass auch unsere Emotion die Kommunikation in vielerlei Weise beeinflusst. Möchten wir mit der Aussage „Es ist kalt hier.“ lediglich eine Sachinformation geben? Sagen wir aus, dass uns kalt ist, oder gilt es als Aufforderung das Fenster zu schließen? Oder sagen wir damit aus, dass etwas in der Kommunikation mit meinem Gegenüber nicht stimmt?
Schon die alltägliche Kommunikation ist durch Missverständnisse und gegenseitige, möglicherweise gegensätzliche Erwartungen gekennzeichnet. Wie kann also Kommunikation zwischen zwei Parteien mit unterschiedlichen Erfahrungen, Erkenntnissen, Kenntnissen, Vorstellungen und Herkünften funktionieren? Natürlich braucht es dazu Konventionen, aber auch die können nicht immer greifen. Eine Konvention ist aber grundsätzlich kommunikationsfördernd: sich immer demjenigen anzupassen, der vermeintlich schwächer ist. Wer der vermeintlich schwächere ist, kann sich jedoch im Zweifelsfall nur durch Kommunikation zeigen und sich gegebenenfalls im Verlauf eines Gesprächs verändern.
Ein auf den ersten Blick Schwächerer muss nicht tatsächlich der Schwächerere sein. Ein Blick auf die Außenwelt beziehungsweise auf die Äußerlichkeit meines Gegenübers kann eine vermeintliche Irreführung sein, denn nicht immer steckt das innerhalb einer Fassade, was von außen vermutet werden kann. Vielleicht werfen sie das eine oder andere Mal erst einen Blick hinter die Fassade, bevor sie sich ein Urteil bilden?
Warum mir Kommunikation so wichtig ist
Kommen wir nun zur Kommunikation in Bezug auf Nischenthemen. An sich birgt ja schon die Kommunikation an sich genug Potenzial für Irritationen. Bei Nischenthemen spitzt sich das vermeintliche Problem aber noch einmal an wie ein Bleistift in einem Anspitzer. Hier gibt es gerade im Nischenthemen-Umfeld nicht nur die Kommunikation zwischen Menschen als potentielle Irritation sondern auch das Nischenthema höchst selbst. Möchte ich mich als Journalistin oder Social Media-Managerin mit einem bestimmten Thema beschäftigen, sollte ich wissen, worüber ich rede, mit wem ich rede und warum ich mit der Person rede, mit der ich rede. Meine Kommunikation sollte sich im Umgang mit dem Experten auf dem Experten-Niveau bewegen. Das so erhaltene Expertenwissen muss ich jedoch im Zweifelsfall auch einem Einsteiger vermitteln können. Lohnt es sich deshalb für mich als Journalistin, sich umfassend mit einem Thema zu beschäftigen? Selbst eine gewisse Expertise zu erlangen? Und zu wissen, worüber ich rede?
Nun, ich bin mir ziemlich sicher, dass es zumindest nicht ganz falsch sein kann, sich dieses Expertenwissen zu eigen zu machen. Jeder Experte weiß, dass es bis zu zehn Jahre dauern kann, bis man sich ein Thema als komplexes Gebilde rund herum zueigen gemacht hat. Ein Problem aber ist bei der Expertise immer gegeben, denn auch angrenzende Themen müssen im Zweifelsfall immer verstanden werden. Heißt das aber konkret, dass ich als Journalist wie auch als Mensch ein Universalist sein muss? Ein Mensch, der danach strebt, jede Form von Erfahrung zu sammeln? Neugier ist an dieser Stelle der Motor unseres Antriebs.
Albert Einstein sagte einmal:
„Ich habe keine besondere Begabung, sondern bin nur leidenschaftlich neugierig.“
Ich denke, mit dieser Neugierde ist es dem Genie in Albert Einstein gelungen, genau die richtigen Fragen zu stellen. Ein Universalist, der alles weiß, wird keiner von uns je sein. Aber warum nicht leidenschaftlich neugierig?!